Luhmann und der Anschluß zu X

Für einige Überlegungen in Folge X unsrer verehrten Ästhetischen Gesellschaft ist ein Zitat von Onkel Luhmann hilfreich, das mir seit einiger Zeit – wie im Video von mir angesprochen – nicht aus der Rinde schwindet. Zu finden in Luhmann, Macht, 1975, Seite 14:

… daß bei zunehmender gesellschaftlicher Differenzierung Situationen häufiger werden, in denen trotz so hoher Kontingenz und Spezialisierung Selektionsübertragungen stattfinden müssen, wenn ein erreichtes Entwicklungsniveau gehalten werden soll. In wichtigen Funktionsbereichen stellt sich situative Interessenkongruenz nicht mehr häufig und nicht mehr spezialisiert genug ein, daß damit auszukommen wäre. Dann wird die Entwicklung eines problembezogenen Sonder-Codes für Macht zum Engpaß weiterer Evolution.

Das scheint mir viele Phänomene der Gegenwart recht genau zu beschreiben: Kein Anschluß unter diesem Medium. Die notwendigen Selektionsübertragungen finden in dieser Übergangsphase dank der cambrischen Explosion im Internet immer häufiger keinen Anschluß, der in einer motivierten Selektion Egos mündet. Die Leute hören einfach woanders zu. Verdammt! Wo kommen wir da bloß hin?! In dieser Situation versuchen natürlich alle, die Zugang zu symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien haben (Macht, Geld, Liebe, Recht…) das Brecheisen anzusetzten. Rumms. Komplexitätsreduktion durch den Gummiknüppel oder, wie Mario Adorf im großen Bellheim sagte: “Ich scheiss Dich zu mit meinem Geld!” Den Rest besorgen dann die Rechtsanwälte.

Leider wird dadurch keine weitere Evolution gewährleistet, sondern eher eine Translation mit scheinbarer Systemstabilität. Aber das sagte ich schon vor Jahren in irgendeiner Folge des Elektrischen Reporters. Hat nur niemand richtig zugehört.

7 thoughts on “Luhmann und der Anschluß zu X”

  1. Vielleicht werden wir uns daran gewöhnen, dass diese, von dir so beschriebene Sitution nicht nur immer häufiger beobachtbar wird, sondern schließlich auch zum Normalfall, der dann wieder Standardisierungen und Routinen nach sich zieht. Jedenfalls scheint mir im Luhmann-Zitat bereits eine Dämonologie angelegt, die einen Beobachter herausfodern, statt in verzweifeln lassen sollte. Wenn heraus gefunden wird, dass die Wurst woanders hängt, aber daraus zunächst nur Unwissen folgt, dann würde mich das optimistisch machen. Es sei, es könnte der Hauptcode Gewalt die Aufmerksamkeit binden. Wenn aber daneben auch die Ratlosigkeit und Hilflosigkeit im Verhaltenrepertoire immer häufiger vorkommt, dann ist alles andere nur eine Frage der Wahrscheinlichkeit.
    Außerdem könnte man immer noch den Göttern Opfer darbringen, wenn der Dämonie nicht mit Reflexionsverstärkung begegnet werden kann; nicht, dass das helfen muss, allein, es reicht die affirmative Bewegung und wenigstens das Schlimmste zu verhindern, wenn es dann auch unverstanden bliebe. Aber wo gehobelt wird, da fallen immer Späne.

  2. S21, Leistungsschutzgeld, Lobbywahnsinn etcpp lassen nix gutes ahnen. Naja, sind wohl natürliche Reflexe von Systemen die sich einsam fühlen 😉 Was mich allerdings mehr beschäftigt ist, welche cognitiven Grundhaltungen, Filter, Unterscheidungen man brauchen wird für eine “Übergansepoche” die von Acceleration ihrer Grundlagen gezeichnet ist. Das einfach sich ausmendeln zu lassen und kucken welche Spagetti an der Wand hängen bleibt dünkt mir zu blutig.

  3. “Das einfach sich ausmendeln zu lassen … dünkt mir zu blutig.” Oh, da möchte ich dir gern widersprechen. Mir scheint, die beste kognitive Grundhaltung wäre das Abwarten. Aber da das Beste niemals passiert, ist das Blutige das Wahrscheinliche: das nicht Abwarten können, der Aktivismus, der blinde Eifer, der entsteht, wenn es darum geht, das Schlimmste zu verhindern, wodurch das Schlimmste erst entsteht.

  4. Wer 200 “Entscheidungen” pro Tag treffen muss (kolportierte Anzahl eines Ø-Managers) wird wohl kaum auf Anschluss für motivierte Selektionen warten können. – Mir schwant da sowas wie eine Kultur und Psyche des Übergangs…

  5. “Das einfach sich ausmendeln zu lassen … dünkt mir zu blutig.” Oh, da möchte ich dir gern widersprechen. Mir scheint, die beste kognitive Grundhaltung wäre das Abwarten. Aber da das Beste niemals passiert, ist das Blutige das Wahrscheinliche: das nicht Abwarten können, der Aktivismus, der blinde Eifer, der entsteht, wenn es darum geht, das Schlimmste zu verhindern, wodurch das Schlimmste erst entsteht.

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