Forderung einer ästhetischen Feldtheorie dynamischer Netze

Zunächst eine Vorwarnung. Der Gedanke dieses Artikels ist, wie vieles im Wavetank, maximal eine Beta-Version, ein Versuch, ein Experiment. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, ist herzlich eingeladen in die Diskussion einzugreifen und zur Fortentwicklung oder zur Beerdigung beizutragen.

Wozu dient dies? Dies ist bei weitem kein Versuch eine Theorie sozialer Interaktion oder soziologischer Phänomene zu verfassen. Dieser Versuch beschränkt seinen Blickwinkel auf die wahrnehmbaren Effekte kommunikativer Prozesse (in einer hochvernetzten Welt). Er kratzt dabei an systemischen Effekten die zu Formen von Ungleichheit und damit zu Machtpotentialen führen. Primäres Ziel ist jedoch im Kontext des Potentials der instantanen Hochvernetzung einen Diskurs über eine Beschreibungssprache zu beginnen.

Der Gedanke einer Feldtheorie entstand bei der Beobachtung der Praxis, Netzwerke als Medien mit imperativen Strukturen zu begreifen. Oder lieber begreifen zu wollen. Das systemische Effekte in der Theorie bewundert, aber in der auf sich selbst bezogenen Praxis eher unbeliebt sind, ist keine neue Erkenntnis. Wir Menschen neigen dazu, als Individuen oder als Unternehmen, unseren Erfolg unseren eigenen klaren Entscheidungen und Potentialen zu zuordnen.

Aber auch die Selbst-Differenzierung gegenüber unserer eigenen Ökosphäre projezieren wir durch einen, von uns selbst ausgehenden oder auf uns einprasselnden Strahl von Kausalitäten in eine fassbare Welterklärung.

Im Weiteren möchte ich nicht auf die psychologischen Schlüsse gegenüber den “handelnden” Individueen (die in diesem Kontext offensichtlich in An- und Abführungen zu setzen sind) abheben, sondern vielmehr annehmen, dass eine Gesellschaft ab der Größe von zwei Gegenübern, als System zu verstehen ist. Demzufolge auch systemische Effekte auftreten.

Warum aber nun eine Feldtheorie der Netze? Und warum muss diese auch noch das Attribut ästhetisch mit sich herumtragen?

Ohne sich hier im ersten Schritt zu tief mit mathematisch, physikalischen Eigenschaften von Kraftfeldern herumärgern zu wollen, gilt es hier diese zunächst als Metapher nutzen. Ich habe aber den Verdacht, dass sich durchaus mathematische Modelle zur exakten Beschreibung eines konkreten Modells hinter diesen Metaphern entwickeln lassen könnten.

Begriffsdefinitionen

Eine Feldtheorie hat einen entscheidenden Vorteil. Sie kennt Minima und Maxima im Kontext einer konkreten Beziehung. Trotzdem können alle “Protagonisten” oder “System-Nodes”, Teil des Gesamsystems bleiben – selbst wenn sie die Grenzen einzelner Felder überschreiten. Dazu möchte ich zunächst den Begriff der “Überlagerung” in diesen Artikel einführen und weiter unten explizieren.

In Abgrenzung zu einer allgemeinen, alle kommunikativen Wechselwirkungen einbeziehenden Theorie, kann eine Feldtheorie mit einem Trick arbeiten, in dem sie die messbare Welt in verschiedene Felder unterteilt. Durch diese Facettierung kann eine Relevanzschwelle eingeführt werden, die es erlaubt eine immer unendliche Zahl von Feldern aus einer aktuellen und konkreten Betrachtung zunächst auszuschließen und sich auf eines oder wenige Felder zu beschränken.

Ein Beispiel verdeutlicht dies: Betrachtet man die Erfolgsfaktoren eines Unternehmens, so sind zahlreiche Wechselwirkungen im allgemeinen Grundrauschen enthalten und die Frage, wo eine Null-Linie eingeführt wird, misst sich an dem Marktumfeld in dem sich das Unternehmen mit seinem Konkurrenten messen muss. Der Vergleich von Wettbewerbern in einem ausreichend ähnlichen Ökosystem erfolgt also nur über die Wechselwirkungen, die oberhalb der Wahrnehmungsschwelle liegen.

Minimum und Maximum

Dies ist das Minimum. Das bedeutet, dass eine an einem Feld anliegende “Spannung” eine Wechselwirkung erzeugen muss die genug Differenz zum Grundrauschen des Feldes aufweist, um wahrgenommen werden zu können. Dieses Minimum kann als das nullte Feld bezeichnet werden, das sich Quer zu allen anderen Feldern verhält.

Ein Maximum ist an der Stelle erreicht, an dem die Spannung eines Feldes selbiges zerreisst. Sodass eine Wechselwirkung zwischen den vorher Wechselwirkenden auf den jeweils relevanten Feldern nicht mehr möglich ist. Dreht man den Prozess um, so beschreibt das Maximum eines Feldes den Punkt des ersten Kontaktes zwischen zwei energetisierten Protagonisten.

Protagonisten einer Feldtheorie

Ein Protagonist ist im Kontext dieses Artikels ein Objekt, welches Informationen empfangen, verändern und senden kann. Dies kann auf niedrigster Ebene rein passiv erfolgen; also als Teil-Absorbtion und Teil-Reflexion. In diesem Kontext wird hier auch der Begriff der Kommunikation verwendet – als ein zunächst nicht weiter differenzierter Austausch von Informationen zwischen zwei oder mehr dieser Protagonisten.

Als kommunikationsprozessrelevante Entität – also hier kurz “Protagonist” – kann nun je nach Perspektive ein Individuum, eine Gruppe, ein Medium oder auch ein Ereignis bezeichnet werden. Eine Gruppe soll hier aber nicht zwangsweise als statische Einheit einer definierten Anzahl von Individuen, sondern als dynamisches Setting einer Situation verstanden werden.

Der Begriff eines PROtagonisten erscheint mir gegenüber einer “totalen Systemtheorie” an dieser Stelle jedoch angebracht, da mein Begriff einer Feldtheorie zwar von weitgehenden systemischen Effekten ausgeht, aber einem bewussten Individuum durchaus die Möglichkeit zugesteht, auf dem Wellen einer systemischen Welt reiten zu können. Also deren Effekte ausnutzen, ohne sich die Welle selbst Untertan machen zu können.

Überlagerungen von Feldern

Überlagerungen treten auf, wenn sich die Felder selbst gegenseitig beeinflussen. Dazu müssen sie eins von zwei einfachen Kriterien erfüllen. Sie müssen von gleicher Art sein oder die Absorbstions- und Reflexionseigenschaften hinsichtlich eines anderen Feldes als des eigenen von mindestens einem Protagonisten des Feldes verändern.

Maßeinheiten

Da ich es mir hier bequem gemacht habe und von einer allgemeinen ästhetischen Feldtheorie dynamischer Netze spreche, ist die jeweilige Maßeinheit abhängig von der Art des Feldes, welches zwischen den Beteiligten anliegt: Das Feld ist stets von der “Substanz”, deren Wechselwirkung es beschreibt. Und so ist auch seine Maßeinheit zu wählen.

Ein gedachtes Modell welches beispielsweise nur die Wechselwirkungen Geld, Zeit und Aufmerksamkeit kennt, wird durch deren Maßeinheiten in einer für Menschen nutzbaren Einheit beschrieben.

Entropie und Ektropie

In einem thermodynamischen Sinne ist das Gesamtsystem unserer Definition hier, in dem alle relevanten Wechselwirkungen stattfinden, nicht die größtmöglich denkbare Box; sondern ein klar abgegrenzter Raum, dem beständig Energie hinzugeführt wird. Und nur solange dies gegeben ist, wird die hier vorgeschlagene Sprache anwendbar sein.

So gehe ich hier nicht von Systemen aus, die eine absolute Entropie oder Ektropie erreichen – vielmehr gehe ich von Systemen aus, die in beide Richtungen streben, durch die permanente Energiezufuhr jedoch dynamische Eigenschaften aufweisen und sich “umentscheiden” können.

Praktische Beispiele zur Bedeutung dieser Begriffe, ihre Phänomene und weitere Hintergründe haben wir in der zweiten Session der Ästhetischen Gesellschaft diskutiert und hat J. hier angerissen.

Hier sei jedoch noch gesagt, dass durch Energiezufuhr in ein generell evolvierendes System, die Entwicklung innerhalb des Systems beschleunigt ablaufen muss. (Das bleibt an dieser Stelle wie vieles andere hier: zunächst eine Behauptung.)

Hinsichtlich eines einzelnen Feldes ist Entropie nicht mit seinem Minimum und Ektropie nicht mit seinem Maximum gleichzusetzen. Entropie ist vielmehr die Richtung in der ein Minimum strebt und Entropie die Richtung des Maximums (sozusagen sein “Omegapunkt”). Erreichen kann ein Feld diese Pole jedoch nie, da aus der oben stehenden Reflexion die Grenzen des sinnvoll wahrnehmbaren schon vorher passiert werden (was auf der einen Seite dem Minimum und auf der anderen dem Maximum entspricht).

Forderungen

Angesichts der These, dass die “Welle nur geritten, aber nicht dressiert werden kann”, wird es schwer bis unmöglich, von einem allgemeinen ästhetischen Imperativ zu sprechen. Ein intentionaler ästhetischer Imperativ ist aber nicht nur möglich, sondern auch ratsam. Für ein Individuum, das innerhalb einer Gruppe erfolgreich sein möchte, für eine Gruppe, die gegenüber anderen Gruppen erfolgreich sein möchte.

Zumindest immer dann, wenn von einem evolutionären Weltbild ausgegangen wird, in dem Evolution selbst, keine Entscheidung eines Protagonisten, sondern ein Systemen inhärenter “Zustand” ist.

Dabei muss man gar nicht den Schiller’schen Ästhetik-Begriff bemühen; sondern nur ein weitreichendes Verständnis für die unter der Kulturschicht liegende ästhetische Relation zwischen den Phänomenen des Handelns haben. Mehr dazu, in der ersten Session der Ästhetischen Gesellschaft.

Dieses Minimalziel verfolgend tut ein Individuum gut daran, stets so zu handeln, dass sein Handeln die eigene Ektropie gegenüber der (jeweils) eigenen Gruppe vergrößert und gleichzeitig die Ektropie der Gruppe gegenüber anderen Gruppen so vergrößert, dass kein Maximum zwischen dem Individuum und “seiner” Gruppe, sowie dieser Gruppe und relevanten anderen Gruppen überschritten wird.

Wie drückt sich dieses “Tun” aus?

In einer bewussten Entscheidung zur harmonisch ausgewogenen Selbstexposition gegenüber dem lokal (oder spatial?) allgemein Wahrscheinlichen und dem entsprechenden Unwahrscheinlichen.

Selbsterhaltung darf also nicht als das Erreichen einer statischen Grenze verstanden werden. Vielmehr ist sie ein hochdynamischer Prozess dessen Rahmenbedingungen durch die für die jeweiligen Protagonisten relevanten Felder und deren Machtpotential im Kontext einer gegebenen Situation definiert werden.

Wozu 2

Das oben genannte Wozu konkretisierend, ist dies hier ein Schritt zur Manifestation meines Verdachtes, dass Dinge wie Aufmerksamkeit, Geld, Zeit, Differenz, … nicht statisch, binär oder sonst irgendwie anders sind als denn dynamische Felder. Deren Wechselwirkung sich in einem abstrakten “Macht-Feld” manifestiert.

Aus Sicht einer Netzwerkkommunikation sind sie selbst keine Einheiten, sondern spannungsgeladenen Relationen. Und mir scheint es an der Zeit zu sein, dies als mögliche Beschreibung von gesellschaftlichen Phänomenen oder auch business Prozessen hinsichtlich einer Hochvernetzung zu denken.

XYZ

folgt… Der erste Anfang wurde hier jetzt gemacht…

Kredits

Meine Gedanken und Thesen in diesem Artikel basieren zu einem nicht zu verachtenden Teil auf einem Prozess, den ich gemeinsam “hier im WaveTank” mit Dr. J. und Siggi vollzogen habe.

9 thoughts on “Forderung einer ästhetischen Feldtheorie dynamischer Netze”

  1. *gasp*

    Mir ist aber klar, was mir unklar ist. Wie willst Du in diesem Metaphernkonstrukt zeitumkehrinvariante oder sogar vollständig CPT-invariante Systeme (Feldtheorie) an dissipative Systeme (Thermodynamik) andocken? Reversibilität war in unserem Diskussionskontext (Emergenz etc.) bislang logischerweise irrelevant, aber Feldtheorie bringt sie nun mit zur Party …

  2. Für eine Sekunde habe ich gedacht, Du hättest mich erwischt… 😉 Man sollte nicht vergessen, dass das CPT-Theorem nur in einem sehr reinen Modell gültig ist, sobald weitere Wechselwirkungen als z.B. Gravitation und die starke Wechselwirkung in Spiel kommen, funktioniert es nicht. Und wenn man tatsächlich “Full Monty” auf Naturgesetze mappt, sollte man nie die Dekohärenz aller Systeme vergessen, sobald sie ihren reinen Quantenzustand verlassen. In dem Augenblick wird jeder Prozess irreversible.

    Doch um den Dreh wieder etwas davon weg zu bekommen: Ich betrachte ja nach meiner Definition oben eben nicht die Welt als Ganzes mit allen Wechselwirkungen und Energietransfers die stattfinden; sondern nur den Teil der Wechselwirkungen, die sich messen lassen und sinnvoll im Kontext einer konkreten kommunikativen Struktur sind.

    Spätestens durch die Reibung mit diesem ausgeblendeten “Grundrauschen” greift die Dekohärenz. Eine Reversibilität steht also hier nicht zur Debatte. Da dieser Effekt allerdings für alle vergleichbaren Teilnehmer gleichermaßen gilt, brauchen wir ihn auch nicht zu berücksichtigen…

  3. Ist das nicht alles Systemtheorie 101 😉 in anderem begrifflichen Gewand? Meine Frage also:

    *Welche Phänomene sollen erklärt werden, die andere Theorieansätze nicht erklären oder umfangen können?

    *Was daran geht über Systemtheorie hinaus?

  4. @Siggi:
    zu 1: Wie gaaaaanz oben im Artikel geschrieben, ist das explizit nicht mein Ziel mit diesem Versuch, der auf eine andere, handlichere Beschreibungsmöglichkeit abzielt, in dem ein Treshold eingeführt wird.

    zu 2: Nichts. Es geht vielmehr darum, mit weniger auszukommen und trotzdem ein kommunizierbares Modell zu haben. Mehr Relevanz und mehr Fokus. Die Wechselwirkung der Hintergrundstrahlung mit sozialen Gruppen ist vorhanden, kann aber getrost ausgeblendet werden 😉

    uuuuuund: Systemtheorie stellt keine Forderungen. Was dem implizit zugrunde liegenden Designbegriff nicht gerecht werden würde, da Design immer eine Handlungs- oder Entscheidungsperspektive transportiert, Alternativen anbietet oder zumindest eine neue oder weiterentwickelte Ästhetik anbietet.

    @Siggi + Jay:
    Was ich aber auf jeden Fall deutlicher machen sollte, ist, dass hier eine Innen- und keine Aussenansicht versucht wird.

  5. Ich versuch mal einen mäeutischen, umzingelnden Stil:

    Könnte das eine Art Netzwerktheorie mit Kennzahlen sein, die den Ektropiegrad einer Organisation beschreiben, die so weit im Fluss bleibt (MinMax) das sie in dynamischen Umwelten weiter evolvieren kann? Frag ja nur…

  6. “..evolvieren muss und dies beschleunigt.”

    Das berührt einen Punkt, den ich in unserer zweiten Session beiläufig spekulativ hingenuschelt habe: eine Art Kybernetik 3. Grades. Ich vermute das die explizite Rückkoppelung von soz. Netzwerktheorien und als Vorstufe auch schon die Erhebung von soziologischen Theorien zu Produktivitätsfaktoren zu dieser Evolution und Beschleunigung führen. Innerhalb Deines ad Hoc-Jargons (geschätzt): Das Feld wird dichter, die Sub-Systeme werden kleiner (?), der Organsationsgrad unwahrscheinlicher mittels Abstraktion und Parallelität.

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