Digital Everything

Leider überlagert die oftmals leidige (wenn auch notwendige) Mediendebatte andere Themen oder nimmt sich im öffentlichen Diskurs zu viel Raum innerhalb eines Themas. So auch im Kontext der “Digitalisierung”. Unweigerlich zwingt die alltägliche Erfahrung, hier an Copyrights, das papierlose Büro und den Überlebensk(r)ampf von allen möglichen Totes-Holz-Produkten oder die Piratenpartei zu denken.

Dabei geht es hier um Alles. Ja. Um Alles. Digitalisierung ist Utopie und Dystopie zu gleich. Sie wird uns alles nehmen und alles geben. Sie bedarf dringend einer intellektuellen Debatte und einer öffentlichen Reflexion. Dabei wird an manchen Stellen auf Terra schon lange an Produkten gearbeitet, die StarTrek und H.G. Wells müde aussehen lassen.

Einen kleinen Einblick in die Digitalisierung des Lebens selbst gewährte uns Craig Venter vor wenigen Tagen:

Die Digitalisierung der Prozesse der Erschaffung von Leben, im diesem Kontext mit dem Schlagwort der “synthetischen Biologie” oder dem “Bio-Assembling” bezeichnet ist keine ferne Vision. Sicher ist die Forschung noch lange nicht fertig und bis zu einer industriellen Fertigung werden noch einige Jahre vergehen… Moment… ! Braucht es bei einem klaren Durchdenken der Kontexte Digitalisierung und Bio-Assembling eine industrielle Fertigung? Wohl eher nicht. Im Massenmarkt werden wir Bio-Tamagotchis trotzdem noch nicht morgen haben.

Gentechnik auf Steroiden – der Umgang mit der DNA wie mit einer Programmiersprache zur Kreation ganz gezielter Lebensformen die ganz klar definierten Zwecken dienen sollen, ist ein Spielfeld unvermessener und ungeahnter Dimension. Charles Stross hat mit seinem Buch Accelerando einige gute Ideen geliefert.

Richtig spannend wird’s, wenn wir mehrere Visionen kreuzen: Mediale Kollaboration und Digitalisierung von “Allem”. Tools wie Wave lassen uns am Saum dieses Geistes schnuppern, das Plugin, welches die gemeinsame Modifikationen einer DNA erlaubt ist leicht zu schreiben… Der wahre Spaß liegt noch vor uns.

Im weiteren Kontext ist lesenswert:

Complexity & Processity

Der letzte Artikel hier im Wavetank von Dr. J., “The Wave, Buzz, Facebook, and Everything“, mäkelt an den Vielzahl der Quellen, dem Rauschen in den Kanälen und der Redundanz der Informationen auf den Kanälen herum. Das J. dabei nicht schirrmachert weiß jeder, der auch nur kurz in die Ästhetische Gesellschaft hereingeblickt hat.

Wichtig ist, die notwendige Reflexionshöhe einzunehmen. Daher 3x ein ganz einfaches Ja:

  • Ja, wir leben in einer Zeit des Wandels und müssen mit uns selbst wie mit unserer Umwelt geduldig sein
  • Ja, wir leben in einer beschleunigten Zeit und müssen uns daher gelegentlich anschnallen
  • Ja, wir leben in einer Zeit der Abstraktion und müssen das Lernen von den Fakten auf die Methoden verlagern

Das Sehnen aus J.’s Artikel ist mehr als verständlich; und dem Motto dieses Blogs folgend, ist es als ein notwendiger Schmerz zur Beschleunigung aus dieser merkwürdigen Watte-Zeit heraus. Einer Zeit, in der die Gesellschaft selbst zerrissen scheint zwischen müder Restauration und gewagter Utopie; in der diese beiden aber zugleich merkwürdig abstrakt und unfassbar sind. Spürbar sind sie, aber was genau ist denn damit gemeint?

Das Vorstehende soll für dieses Mal eine rhetorische Frage bleiben; da ich hier auf einer anderen Ebene konkretisieren möchte:

Was könnte denn eine Kulturtechnik sein, mit deren Hilfe wir in das folgende Zeitalter schreiten können? Das Zeitalter voller neuer Technologien, die jede für sich grundsätzliche Fragen auf absoluter Höhe stellt (nur zur Erinnerung: Nano-Assembling, Bio-Assembling, Gentechnik, (Nano-)Robotik, Computing und Informationstechnologie).

In einem anderen Zeitalter hätte man vermutlich den Term der Werte gesucht; wenn die Welt jedoch digital wird und die oben erwähnten Technologien durchschlagen, könnte die Kulturtechnik des Wertekonsens zu kurz greifen.

Ein Ansatz, der gelegentlich schon durch die Ästhetische Gesellschaft waberte, scheint mir das Üben des richtigen Maßstabes zu sein; Dinge von ganz nah und gleichzeitig von ganz fern betrachten zu können. Ein schneller Tanz der Gedanken, der Inspiration und der Erfahrung: Skalierung in der Betrachtung und im Betrachteten. (siehe auch: Vom kulturellen Wirkungsquantum)

So wie wir heute ein Bauchgefühl für den richtigen Ton, das Duzen oder Siezen, für Smalltalk und Eskalation, für Tischmanieren, die Unschuldsvermutung und 1000 andere Gesten entwickelt haben um in der Gesellschaft der sozialen Marktwirtschaft miteinander leben zu können, so ist es notwendig, eine ebenso tiefe Geste zu etablieren, die den skizzierten Anforderungen gerecht wird.

Zu wissen, wann das Verstehen das Sehen von Atomen erfordert; wann es des übergeordneten Musters bedarf. Selbstverständlich ist dies nicht binär, sondern ein Übergang.

Guckt man nun hier mit der Metabrille; so muss eine Gesellschaft des “Flux”, die von den Vorteilen der technologischen Beschleunigung profitieren will, auf der Seite des Fortschritts die Komplexität umarmen. Muss eben jene Skalierungsübung immer wieder vollziehen, solange bis der Fokus scharf ist und sich dann, auf der Seite der Integration, beständig auf die Feinjustierung gesellschaftlicher Prozesse verständigen.

Das Lösen von der Ebene der Informationsatome ist dabei ebenso selbstverständlich wie auch überflüssig. Die Entitäten des Wissens werden allgegenwärtig zur Verfügung stehen. In einer wirklich digitalisierten Gesellschaft noch um Größenordnungen intensiver als heute. Verloren der, der sich nicht auf das Erkennen von Mustern versteht. (Update: Noch verlorener der, der bisher seine Wertschöpfung mit der Vermittlung von Fakten erwirtschaftete und nun die Ebene der Muster nicht versteht. Siehe auch: Die Kybernese der Gesellschaft)

Die Abstraktionsebene kennt natürlich das Mittel und den Phänotyp des Beispiels; was aber nichts vom Paradigma des Zugangs durch das Muster abziehen kann.

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weitere Leseempfehlungen im Kontext:

The Wave, Buzz, Facebook, and Everything

Jede Lautäußerung wird im sozialen Netz so oft hin- und hergedengelt, daß es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis der erste Tweet eine Kette von Backbone-Servern in die Knie zwingt.

Einer der Gründe, warum Wave etwas an Dampf verloren hat, ist sicher in den beiden zusammenlaufenden Über-Trends zu finden, alles miteinander zu vernetzen und alles zu integrieren. E-Mail wird bald ein Bestandteil von Facebook, Twitter-Streams nerven als Hauptbestandteil von Buzz. Jede Lautäußerung wird im sozialen Netz so oft und lange zwischen den Kanälen hin- und hergedengelt, daß es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis der erste Tweet oder der erste Facebook-Kommentar in einer sich selbst replizierenden Endlosschleife mündet, die eine Kette von Backbone-Servern in die Knie zwingt.

Das kann es irgendwie nicht sein. Zur Zeit führt die absolute digitale Kopierbarkeit und Replizierbarkeit zunehmen auch dazu, daß uns ein und dieselbe Nachricht auf mehreren Kanälen erreicht. Das ist für die Nachricht — oder, anders gesagt, für die mit der Nachricht transportierten Meme — eine feine Sache. Aber auch für uns?

Dabei soll das Prinzip der „integrierten Inbox“ ja eigentlich genau das Gegenteil bewirken, daß uns nämlich nur noch die Nachricht interessiert, nicht mehr der Weg, auf dem sie zu uns gelangte. Was noch nötig ist, sind wieder Filter, oder vielmehr Bots, die für uns die Echos aussortierten.