Watson und Sherlock

Mir ist das alles viel zu ruhig, allenfalls bemüht rationalisierend (Defensivposition par exellence) oder unterhaltungstechnisch kastrierend in Bezug zu Watson/IBM. Jeder, der seine intellektuelle Identität mit irgendeiner Form von Text bestreitet, sollte langsam ins Grübeln kommen und sich auf Zukünfte einstellen, die derartige Artefakte ubiquitär in Stickgröße beinhalten. Ich kann mich mit niemandem ernsthaft über Gesellschaft unterhalten, der derartige (welche?) Szenarien nicht schon jetzt verinnerlicht. Als Alternative kann ich mir nur die gute alte Publikumsbeschimpfung vorstellen…

Delta in Progress

Es gibt da den Satz von Herrn L. das “die Gesellschaft keine Adresse” hätte. Wie, wenn sie sich in infinitesimalen Schritten eine Adresse schafft? Und welche Folgen hätte das? Welche Dynamiken entfaltet das jeweilige Delta? Als Endziel, das von unserem Standpunkt aus sichtbar wäre, würde dann die vollkommene Relationierung aller relationierbaren Datentupel (Tipler anybody?) gelten. Eben in diesem Moment der Geschichte auf Terra sind die erfolgreichsten Geschäftsmodelle Relationierungen von Datentupeln und die Relationierung von Materietupeln unterliegt einem vorhersehbaren Grenznutzen.

Jede Gesellschaft hat ihre Gesellschaft, allerdings als utopisches Endziel. Die Adressierbarkeit ist also die Utopie. Unsere heutige Utopie wäre dann im Computronium erreicht und alle Bemühungen den Heizer auf der E-Lok zu installieren, äh, die Digitalisierung und ihr Relationierungspotential ungleichzeitig einsetzen zu lassen, zu verhindern oder zu bremsen ein je interessanter Versuch Dystopien zu gebären. Jeder Arbitragegewinnler in Anzug ohne Schlips wird freundlich grüssen.

Sasaki Kojirō

Im Gespräch mit der einzigen mir leiblich bekannten fast-Soziologin und längstjährigen Schwertkämpferin wurde ich auf eine beklemmende Homologie hingewiesen, die recht betrachtet den Aufschein des Niedergangs einer der beteiligten Parteien recht lehrreich in ihrem Herzen trägt. Auch wenn die hohen Herren ihren Seminar-Sun Tzu oder Musashi auf den Nachttischchen der Leistungsträgerschlafzimmer liegen haben sollten, so ist ihnen scheinbar die unterbewusste Botschaft des Wegwerfens der Schwertscheide entgangen. “Du hast schon verloren! Oder würde der Sieger seine Schwertscheide wegwerfen?”

Wenn Macht auf der Kontrolle des Ausnahmefalles beruht, der nach möglichster Keit nie eintreffen darf, dann kommt die Anrufung höherer Mächte (Recht = Kriminalisierung des Widerparts) einem Wegwerfen der Schwertscheide gleich. Nur ein tief sitzendes Unvertrauen in die eigenen, schöpferischen Fähigkeiten lässt ein solches Handeln verständlich erscheinen.

Nachtrag: Als Begleitmusik empfohlen: Haydn, HobI 55, 1. Allegro di molto. Harr harr.

Luhmann und der Anschluß zu X

Für einige Überlegungen in Folge X unsrer verehrten Ästhetischen Gesellschaft ist ein Zitat von Onkel Luhmann hilfreich, das mir seit einiger Zeit – wie im Video von mir angesprochen – nicht aus der Rinde schwindet. Zu finden in Luhmann, Macht, 1975, Seite 14:

… daß bei zunehmender gesellschaftlicher Differenzierung Situationen häufiger werden, in denen trotz so hoher Kontingenz und Spezialisierung Selektionsübertragungen stattfinden müssen, wenn ein erreichtes Entwicklungsniveau gehalten werden soll. In wichtigen Funktionsbereichen stellt sich situative Interessenkongruenz nicht mehr häufig und nicht mehr spezialisiert genug ein, daß damit auszukommen wäre. Dann wird die Entwicklung eines problembezogenen Sonder-Codes für Macht zum Engpaß weiterer Evolution.

Das scheint mir viele Phänomene der Gegenwart recht genau zu beschreiben: Kein Anschluß unter diesem Medium. Die notwendigen Selektionsübertragungen finden in dieser Übergangsphase dank der cambrischen Explosion im Internet immer häufiger keinen Anschluß, der in einer motivierten Selektion Egos mündet. Die Leute hören einfach woanders zu. Verdammt! Wo kommen wir da bloß hin?! In dieser Situation versuchen natürlich alle, die Zugang zu symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien haben (Macht, Geld, Liebe, Recht…) das Brecheisen anzusetzten. Rumms. Komplexitätsreduktion durch den Gummiknüppel oder, wie Mario Adorf im großen Bellheim sagte: “Ich scheiss Dich zu mit meinem Geld!” Den Rest besorgen dann die Rechtsanwälte.

Leider wird dadurch keine weitere Evolution gewährleistet, sondern eher eine Translation mit scheinbarer Systemstabilität. Aber das sagte ich schon vor Jahren in irgendeiner Folge des Elektrischen Reporters. Hat nur niemand richtig zugehört.

Ergänzung zum 9. Geplauder

Mein Entree im vorstehenden Video über das Luhmann-Zitat hat mich zu einer kleinen Ergänzung verleitet, die in meinem Heimgehäuse “…was wyrd” nachzulesen ist. Ich möchte an dieser Stelle auf die Sekunden des Schweigens nach dem Satz “Gegen Komplexität kann man nicht protestieren.” hinweisen, die mich nachträglich etwas irritieren. Ich mache mir Sorgen über meinen Humor.

Session 6: Die Kunst des Sehens

Tim und Jay haben mir aus Zeitmangel den Text zur 6. Session aufgebrummt. Wie es das philosophische Hamsterrad so mit sich bringt, ergab sich gerade vorhin eine treffliche, thematische Synchronizität: die morgige Ausgabe des Nachtstudios auf ZDF, insbesondere ab Minute 45 in den Äusserungen von Prof. Kruse.

Während ich in unserem Gespräch mal wieder Finetti mit Dem Sehen in der Mathematik in die Runde warf, um den – wie Kruse meint nachträglich als intuitiv gelabelten – Moment des Erkennens des Neuen zu verorten, weist Kruse auf den durch Unmengen an konsumierter Information herbeigeführten Umschlag in ein Muster hin. An dieser Hürde sind also Schirrmacher und alle Opfer unseres Schulsystems, das vom Detail zum Ganzen drillt zerschellt. 😉 No Frust, no Muster.

Wer – um mal wieder mit Teilhard de Chardin zu sprechen – “wirklich klar sehen will” muss “das tiefe Wollen” an den Puzzletisch mitbringen. Anderfalls enden wir im Nölen übers Detail oder bei ACTA.

Just say NO

Das Leitmotiv vieler gegenwärtiger politischer, wirschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse scheint mir ein Nein zum Nein zu sein. Unter diesen Bedingungen ist die Flucht in die scheinbare Sicherheit von Trends nichts als der Ausdruck der Mutlosigkeit zur Utopie. Nur wo die phantastische Negation eines Bestehenden ihren mutigen Ausdruck in der Vision einer Utopie findet, können auch Kulturformen des Übergangs (Luhmann) gefunden werden um die explodierende CO-ntingenz auf bearbeitbaren Boden zu reduzieren. Nur so könnten statt im Kern lächerlicher futuristischer Kürvchen, Bilder von Zukünften formuliert werden, die genügend CO-nsens erzeugen, damit Organisationen Formen finden, die ihnen ermöglichen genügend Selbstähnlichkeit aufrechtzuerhalten, ohne die notwendigen Transformationen in Katastrophen oder Dystopien enden zu lassen. Zuviel Ernst produziert in dieser Lage nur eventuell tödliche Denkverbote.

Differenzen stückeln

Mich dünkt einer der Fäden der hiesigen Gespräche – deren Farbe dahingestellt sei – zwirbelt sich mäandernd um die Reduktion von Komplexität in dem Schlamassel, den wir vorläufig aufgehendes 21. Jahrhundert nennen. Instinktiv versuchen wir dabei nicht in Fundamentalismus oder die Apologie überkommener Subsysteme zu verfallen. Aber wie will man den Leap ins Neue schaffen, wenn selbst das entwickeltste Begriffssystem dem verpflichtet ist, was – wie ich vermute – in unserer Zeit insgesamt zur Verhandlung ansteht? Wo entsteht die rettende Paradoxie?

Insofern sind die Gespräche der ästhetischen Gesellschaft auch nur ein weiteres Symptom einer Gesellschaft, der ihr Kontingenzhorizont gerade um die Ohren fliegt. Weitere, weit ärgerlichere Symptome: Schirrmacher, Gaschke, Journalismusdiskussionen, löschen statt sperren, Geld verdienen mit XYZ, Internetausdrucken, AAL, …beliebig erweiterbar.

Ich vermute nun das alles sind Symptome einer tieferliegenderen Krise. Keine ökonomische, ökologische oder lolologische sondern eine der Kommunikation. Wenn nach Luhmann Kommunikation die einzige soziale Operation ist, die Gesellschaft produziert und reproduziert, dann sind natürlich technologische Entwicklungen, die diese Basis beschleunigt unter unseren Füssen umbauen ohne zu überprüfen ob wir sicher stehen, Garant für noch mehr Kontingenz. Unterhaltsam gesprochen.

Dort scheint mir auch einer der Gründe zu liegen, warum die “Ästhetische Gesellschaft” (nicht wegens Schiller, den Adorno einst als “power und patzig” titulierte 😉 ) ästhetische Gesellschaft heissen sollte. Das Thema von Kunst, Ästhetik, Mystik und Weisheit war seit je unbestimmte Komplexität, in deren Pool Sinn allenfalls im Freistil erschwommen werden kann.

Eine Gesellschaft, die höhere Komplexität ausbildet, wird also Formen der Erzeugung und Tolerierung struktureller Unsicherheiten finden müssen. Sie wird sich ihre eigene Autopoiesis gewissermaßen jenseits ihrer Strukturen garantieren müssen…” (Luhmann 1984)

Da fällt mir spontan die Anschlussfrage ein: Weil sonst was???

Collaboration und Konflikt

Mein kleiner Vortrag über Disruption und Konflikt auf dem 2. WaveWednesday am 13. August scheint ohne mein Wissen voll im Trend gelegen zu haben. Just heute morgen blieb in meinen Filtern folgendes hängen:

Developing the Virtual Society: Conflict in Adoption of Online Collaborative Networks

Wunderbar! Eine ganze Konferenz nur über Konflikt und Collaboration mit hoher Professorendichte. Na, wenn uns das nicht was sagen sollte…

Da möchte ich doch die Schraube etwas anziehen und nochmal betonen: Ohne eine kreative, bejahende, antizipierende Einstellung zu Konflikten, die alle Beteiligten und ihre Organisation verändern, werden die wunderschönen Tools entweder nullifiziert oder ins informelle bis illegale weggedrückt werden. So, bring it on, Monday!