Survival Value

Zu den Fragen, die mich an der Digitalisierung der Gesellschaft interessieren, gehört auch die Vergrößerung oder Verringerung der Überlebenschancen kultureller Artefakte, eine Frage, die zu interessanten Konsequenzen führt. Wir können zum Beispiel davon ausgehen, daß unsere Literatur und unsere Musik und unsere Filme in absehbarer Zeit nicht mehr in einer physischen Form vorhanden sein werden, die wir im Laden kaufen oder ins Regal stellen können. Mein Bücherregal habe ich nur, weil ich etwa zwölf Jahre bräuchte, um meinen Buchbestand zu digitalisieren. Meine CDs sind alle im Keller, wo sie hingehören. Mein eigener produktiver Output ist fast ausschließlich digital.

Historisch gesehen hing das Survival Value kultureller Artefakte von den beiden Parametern Kopieraufwand und Robustheit des Mediums ab. Beschriebene Steintafeln waren sicher robust, aber extrem aufwendig zu kopieren. Schriftrollen zu kopieren war vergleichsweise erheblich unaufwendiger, aber Pergament oder Papyrus ungleich weniger robust. In beiden Bereichen sind wir weit gekommen. Wie sieht es mit diesen beiden Parametern in der digitalisierten Gesellschaft aus?

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Der Ort, die Zeit

Messen, Kongresse, Konzerte, Parteitage, Events (…) haben implizit einen neuen Anspruch übergestülpt bekommen. Wer Vernetzung und Kommunikationstechnologie ernst nimmt, sollte im Zeitalter des Internets einen guten Grund haben, jemanden vor Ort zu bitten. Der Transfer von Informationen, oder performative Redundanz hatten sicherlich in vergangenen Epochen ihre gesunde Berechtigung, sich in lokalen Veranstaltungen zu manifestieren. 2010 jedoch sind sie schlicht eine Zumutung. Oder?

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Session 7: Epiphifzen und digitale Schwerkraft

Können die gesellschaftlichen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Auswirkungen des technologischen Fortschritts so hochfrequent sein, dass die Dauer einer Legislaturperiode nach unten korrigiert werden muss? Ist ein Mandat an die verfügbaren und kommunizierten Mittel des Mandatierungszeitpunktes gebunden?

Nachdem Siggi seiner Aufregung über Rorty Luft gemacht hat, kommen wir auf den obigen Trichter (siehe zu dem Trichter auch bei Siggi: “Maßstab“) nach dem Durchkämmen des Thrashold ;-), den Facebook mit seinem globalen iLike-IT Button in die Welt kippt. Differenzierung und Resilienz kann dann nicht mehr durch das Verbindungherstellen an sich erreicht werden; der Druck, auch binnendifferenziert seine Qualitäten auf der Reihe zu haben, also die Hausaufgaben zu machen, steigt in der Folge.

Zu den Hausaufgaben 2010 gehört auch die Auseinandersetzung mit den faszinierenden Entwicklungen der Robotik, die ich mit einem eigenen Artikel bereits am Wochenende beglückte: Präzision und Unsichtbarkeit.

Das Durchkämmen trägt uns noch ein kleines wenig weiter. Jay und ich entwickeln den Gedanken einer bremsenden Wirkung, die durch die zunehmende Digitalisierung der Welt verursacht werden könnte. Die Fluchtgeschwindigkeit vom Ist zu Utopia könnte in einer digitaleren Welt höher sein. Hier wirft dann auch Siggi noch mal völlig zurecht ein, dass “Digitalisierung” ein tendenziell eher unterschätztes Szenario ist. Rechercheanstöße mögen hier die Begriffe “Bekenstein Grenze” und “Computronium” sein.

Also, eine bunte Session, wieder mal jenseits der Stundengrenze. Aber noch leicht unterhalb der zeitlichen Ausdehnung der 6. Session.

Just say NO

Das Leitmotiv vieler gegenwärtiger politischer, wirschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse scheint mir ein Nein zum Nein zu sein. Unter diesen Bedingungen ist die Flucht in die scheinbare Sicherheit von Trends nichts als der Ausdruck der Mutlosigkeit zur Utopie. Nur wo die phantastische Negation eines Bestehenden ihren mutigen Ausdruck in der Vision einer Utopie findet, können auch Kulturformen des Übergangs (Luhmann) gefunden werden um die explodierende CO-ntingenz auf bearbeitbaren Boden zu reduzieren. Nur so könnten statt im Kern lächerlicher futuristischer Kürvchen, Bilder von Zukünften formuliert werden, die genügend CO-nsens erzeugen, damit Organisationen Formen finden, die ihnen ermöglichen genügend Selbstähnlichkeit aufrechtzuerhalten, ohne die notwendigen Transformationen in Katastrophen oder Dystopien enden zu lassen. Zuviel Ernst produziert in dieser Lage nur eventuell tödliche Denkverbote.

Elena Esposito: Die Transparenz der Technik in der medialen Kommunikation

Elena Esposito hat im Mai 2008 einen bemerkenswerten Vortrag über “Die Transparenz der Technik in der medialen Kommunikation” im Rahmen des Bochumer Kolloquiums Medienwissenschaft gehalten. Sie ist Soziologin, Schriftstellerin und Dozentin an der Universität Modena und Reggio Emilia. 1987 hat sie ihr Diplom in Politikwissenschaft bei Umberto Eco gemacht und schließlich 1990 bei Niklas Luhmann promoviert. Noch mehr aufregende Details kennt Wikipedia.

Nur einen Aspekt möchte ich hier noch mal besonders herausheben… Elena Esposito beschäftigt sich mit der Frage, wie sehr die technische Funktionsweise eines Mediums vom Empfänger (oder den Kommunizierenden) verstanden sein muss, um die Botschaft verstehen zu können.

In der Session.One haben wir diese Frage noch weiter zugespitzt und nach einem Ästhetik-Begriff für eine Gesellschaft gefragt, in der nicht nur das technische Medium durch seine Transparenz Eigenschaften einer ersten Natur annimmt, sondern auch der Entscheider hinter dem Medium ebenfalls eine Maschine ist.

Besonders der Artikel “Bot-Mediated Reality” ist im Kontext noch zu empfehlen.

Forderung einer ästhetischen Feldtheorie dynamischer Netze

Zunächst eine Vorwarnung. Der Gedanke dieses Artikels ist, wie vieles im Wavetank, maximal eine Beta-Version, ein Versuch, ein Experiment. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, ist herzlich eingeladen in die Diskussion einzugreifen und zur Fortentwicklung oder zur Beerdigung beizutragen.

Wozu dient dies? Dies ist bei weitem kein Versuch eine Theorie sozialer Interaktion oder soziologischer Phänomene zu verfassen. Dieser Versuch beschränkt seinen Blickwinkel auf die wahrnehmbaren Effekte kommunikativer Prozesse (in einer hochvernetzten Welt). Er kratzt dabei an systemischen Effekten die zu Formen von Ungleichheit und damit zu Machtpotentialen führen. Primäres Ziel ist jedoch im Kontext des Potentials der instantanen Hochvernetzung einen Diskurs über eine Beschreibungssprache zu beginnen.

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Homogenität – Heterogenität

Was macht Teams erfolgreich? Meinen ersten Ansatz zum Thema (Erfolgsfaktoren von Teams und kollaborativer Software), sowie einen Artikel von Siggi (Kollaboration und Konflikt) aufgreifend, möchte ich das Thema hier weiter vorantreiben.

Die nächste Überlegung ist die Mischung und Facettierung von Homogenität und Heterogenität in Teams. Am Anfang steht jedoch die Überlegung, wie sehr die Mitglieder eines Teams vom Zweck des Teams abhängig sind, bzw. wie weit sie in der Lage sind, diesen Zweck zu verstehen. Ist der Zweck ein sehr starker und ist er für alle Teammitglieder in etwas gleich stark (zum Beispiel: Miete zahlen, Mamut erlegen…), so sind sonstige motivierende oder demotivierende Faktoren eher sekundär. So meine Vermutung.

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Collaboration und Konflikt

Mein kleiner Vortrag über Disruption und Konflikt auf dem 2. WaveWednesday am 13. August scheint ohne mein Wissen voll im Trend gelegen zu haben. Just heute morgen blieb in meinen Filtern folgendes hängen:

Developing the Virtual Society: Conflict in Adoption of Online Collaborative Networks

Wunderbar! Eine ganze Konferenz nur über Konflikt und Collaboration mit hoher Professorendichte. Na, wenn uns das nicht was sagen sollte…

Da möchte ich doch die Schraube etwas anziehen und nochmal betonen: Ohne eine kreative, bejahende, antizipierende Einstellung zu Konflikten, die alle Beteiligten und ihre Organisation verändern, werden die wunderschönen Tools entweder nullifiziert oder ins informelle bis illegale weggedrückt werden. So, bring it on, Monday!

Google Wave in den Wissenschaften

Vorgestern erschien auf der Website des Magazins Nature ein Artikel von Richard Van Noorden mit dem Titel “The science of Google Wave: How an Online Application Could Change Research Communication.” (Der gleiche Artikel erschien heute ohne Quellenangabe, Autorennennung oder die ursprünglichen Verlinkungen auf SciAm, aber dafür mit einem liebevoll gelegten neuen Link auf die wichtige Kategorie “Internet”).

Nichts Weltbewegendes, zunächst. Biochemiker Cameron Neylon von der University of Southampton, UK — einer der Teilnehmer auf der Science Online London-Konferenz — befand sich im Besitz eines Google Wave Sandbox-Accounts und wurde von Nature dazu interviewt.

Aber Neylon hat auch schon einen Bot geschrieben:

I have made a robot that recognizes chemical names when triggered by the right text input, searches for information about them on ChemSpider [an open-access search for chemical information such as molecular structures], and can turn weights into molarities. Euan Adie, a product manager in Nature’s web publishing group, has developed a ‘references’ robot that can search the PubMed archive of journal papers for related terms, and turn that text into correctly formatted citations.

Darüber hinaus finde ich auch die Implikationen für wissenschaftliche Veröffentlichungen, bei denen Kollaborationen an der Tagesordnung sind (mit Ausnahme vielleicht bei den Geisteswissenschaften), ganz besonders interessant:

Documents created in Google Wave would be much richer, and one could convert them to the format of a published paper and retain all that annotation.

The real-time authoring and date-stamped recording of contributions also makes for an obvious way to create papers that aren’t static, that are updated over time, perhaps in combination with one or many frozen versions of record.

Neylon spricht es nicht direkt aus, aber was hier über der Zukunft des wissenschaftlichen Kollaborationsapparates schwebt — für die einen als dunkle Wolke, für die anderen als Aufreißen der Wolkendecke — ist die absolute, transparente Nachvollziehbarkeit, wer für ein Research Paper was beigetragen hat.

Und wer etwas intimer mit der Akademia verbandelt ist, weiß: Das hat echtes Konfliktpotential.